als Autorin
in Interviews
Drehbücher
Nathalie Percillier
Wo?
Wo sind die vielen talentierten Regisseurinnen, die in der Filmschule einen Preis nach dem anderen für ihre Filme bekamen? Sie waren genau so zahlreich wie ihre Kollegen und auf keinen Fall minder begabt.
"Die kriegen Kinder" sagt schnell einer. Aber das kann wohl der Grund nicht sein. Erstens sind manche Regisseurinnen mit Kindern erfolgreich, andere ohne Kinder erfolglos. Ich zum Beispiel habe keine Kinder, bekam etliche Preise und doch prangte noch nie das Plakat meines letzten Films an der Fassade eines Kinos. Dabei habe ich sogar einen Drehbuchreis bekommen, für In the Milk. Wurde als Roman veröffentlicht. Eine völlig abgefahrene Geschichte in der es um Kühe und Gentechnik geht, um Heldinnen, die eine Katastrophe nach der nächsten abwenden, während sie nebenbei um ihre Liebe kämpfen. Aus lauter Unwissenheit besiegen sie eine Antagonistin, die es mit Monsanto halten könnte. Im Rahmen eines Dorfes versteht sich. "Schön abgefahren, zu abgefahren" hieß es dann. Und viel zu teuer, auch wenn man's billig probiert hätte. Eine Slapstickkomödie. Ein Märchen für Erwachsene, nannte es ein wohlwollender Redakteur. Diverse Preise bekam ich für meinen Kurzfilm Hartes Brot. Da geht es um das Scheitern der Heldin gegen die Maschinen einer Brotfabrik. Sie siegt am Ende, weil sie aller Widrigkeiten zum Trotz stur bleibt. Ich mag sture Heldinnen, ich mag große Räume.
Letzteres ist teuer.
"Ja, aber auch ein Mann bekommt nicht gleich Millionen in den Schoß gelegt, auch er muss klein anfangen". Zugegeben, ich war vielleicht größenwahnsinnig. Und hätte ich die Kunsthochschule nie verlassen, hätte ich das Szenenbild gezeichnet und die Heldinnen in die Blue Box geschickt, wie in meinem Videofilm Bloody Well Done. Aber nun war ich über ein paar rote Teppiche gelaufen, hatte meine Filme auf der großen Leinwand gesehen und erlebt wie großartig das ist, ein richtiges Team zu haben. Ich wollte großes Kino.
Wahrscheinlich hätte ich mich ein bisschen mehr ins Zeug legen müssen und allen möglichen Leuten mit meinen Drehbücher auf die Nerven fallen müssen. Denn natürlich hatte ich mehrere am Start. Und wenn mein Produzent nichts tat, nach einer neuen Produktionsfirma suchen, noch mehr Drehbücher schreiben und umschreiben. Mir Gehör verschaffen. Die Regie für fremde Stoffe annehmen, auch wenn sie mir nicht gefielen. Billigere Drehbücher schreiben. Ach ja.
Ich hatte ein Buch geschrieben, das in einem Hochhaus spielte, das man fast ganz in einem Zimmer hätte drehen können, aber das war wieder kein Kammerspiel und hatte unglaublich viele Statisten - und Hunde. Auch das, komplett abgefahren. Ich bin wahrscheinlich viel zu beschäftigt und glücklich in meinem Kämmerlein, in dem ich sinnlose Zeichnungen anfertige, das ist bequemer, als mich tagein, tagaus um meine Filme zu kümmern und dafür zu kämpfen. Ich stapelte die Bücher auf dem Schrank und wurde erst einmal krank. Das war's mit der talentierten Regisseurin, dachte ich mir.
Vielleicht fehlt mir die positive Grundeinstellung. Zum Beispiel wäre ich selber nie auf die Idee gekommen, Regisseurin zu werden. In Paris, meiner Heimatstadt, ging ich zwar täglich ins Kino, hätte aber nie gedacht, ICH könnte einen Film machen. Ich weiß auch nicht, wie Ikarus auf die Idee kommen konnte, nach der Sonne zu greifen. Mir völlig fremd, so was. Als Kakerlake in meinem Zimmer aufwachen und mich vor lauter Scham unters Sofa verstecken - das schon eher. Mit 25 wurde mir aber klar, dass ich weder als Handelsreisende, noch als Flugbegleiterin oder Taxifahrerin glücklich werden würde. Ich bewarb mich an der Kunsthochschule. Wurde abgelehnt. Zu alt. Ich sei nicht mehr formbar, hieß es. Mit 25 fing ich also an, zu alt zu sein. Ich gab nicht auf und bewarb mich großflächig, lernte tagein tagaus zu zeichnen und verpasste keine Ausstellung. Erfolg durch Beharrlichkeit, mit 28 schaffte ich es an die Hochschule der Künste, auch wenn es nicht in der Studiengang Freie Kunst war, zu dem ich ursprünglich strebte. Dort machte die erste Zeichentrickfilme und Videos. Langsam wuchs mein Selbstwert. Ich wollte mich an die Filmhochschule bewerben, war aber wieder zu alt. Die dffb (Deutsche Film- und Fernsehakademie) nimmt nur Leute unter dreißig auf und ich war genau ein Jahr zu alt. Ein alter Freund riet mir, zu lügen und mich zu verjüngen. Als ich aufgenommen wurde, musste ich dem Studienleiter erklären, warum ich gelogen hatte. "Hör mal", sagte ich, "es hat mich so viele Jahre gekostet, die nötige Hybris aufzubauen, Regisseurin werden zu wollen. Es sollten für Männer und Frauen verschiedene Altersgrenzen gelten". Das ließ der Studienleiter gelten und winkte mich mit einem Lächeln ab.
Also, wenn ich ein Manifest für Mädchen schreiben würde, wäre der erste Punkt: "Greif nach der Sonne! Mit der Sonne in der Tasche kannst du immer noch bescheiden werden". In Bescheidenheit und Vorsicht trainieren sich Mädchen früh. Diese loszuwerden, braucht Zeit und Erkenntnis. Feministin war ich schon immer, denn schon als Kind fand ich vieles Unverschämt und wollte eins nicht: Eine Frau werden. Gender hin oder her, das Konstrukt "Junge" wirkte auch mich viel attraktiver, als das Konstrukt "Mädchen", denn so viel Make-up, wie es braucht, die Mängel von dem Konstrukt "Mädchen" zu übertünchen gibt es nicht.
Obwohl so wenig Filme von Frauen in die Kinos kommen, obwohl Frauen in der Regel geringere Budgets zur Verfügung haben, hält sich der Aberglaube beharrlich, das Gute setze sich (geschlechtsneutral) durch. Eine (Frauen) Quote sei nicht nötig. Das Scheitern sei ein persönliches. Irgendwann hat es mir gereicht mit dem ganzen Theater. Was sind Drehbücher, die nicht verfilmt werden? Was sind Drehbücher, die abertausend Mal geändert wurden? Mal wegen der Produzentin, mal wegen eines Dramaturgen, den die Produzentin eingesetzt hat, und noch viele Male für eine Redakteurin, die sich wieder alles ganz anders wünscht.
OK, wenn ich es nicht ins Kino schaffe und auch nicht ins Fernsehen (was ich nie versucht habe), mache ich eben das, was mir gefällt: "Wünsche wünschen...", erster Punkt vom Manifest großer und angesehener Künstlerinnen. 1998 ausgerufen, immer noch angesagt. http://www.xcult.org/erstes.manifest/ , ein Feministisches Manifest: "Verratet einander eure Strategien, werdet Idole mit der Pistole, bedroht den Argwohn und die Missgunst". Über das Manifest einen Film machen, in dem Frauen über ihre Arbeitsweisen und Kunststrategien sprechen. Das klingt nach etwas, das mich sehr interessiert, Produzentinnen weniger. Zum Glück gibt es noch einen Ort, an dem man Geld für so etwas beantragen kann: Die Künstlerinnenförderung in Berlin. "Geld spielt eine Rolle, holt’s euch es und lasst es fließen" – Punkt 8 vom Manifest.
7 500 Euro Fördergeld. Ein Rinnsal, aber immerhin genug um den Film mit einer kleinen HD Kamera und ein wenig Ton Equipment zu drehen.
"Bildet banden". Punkt 6 vom Manifest. Leuchtet ein und macht mehr Spaß, als allein in einem Atelier zu hocken und sich fulminante Sachen auszudenken, die niemand finanzieren will. Um das Eingangs erwähnte wunderliches Phänomen, dass wir Frauen während des Studiums mehr Preise bekommen als die Kollegen, aber nach der Akademie die Männer erfolgreicher sind, gründete Katrin Feistl Golden Feminists. Eine Gruppe von Filmfrauen aller Sparten, die sich einmal im Monat trafen, um sich gegenseitig ihre Arbeiten zu zeigen und sich über Widrigkeiten und Strategien auszutauschen. Erst trafen sich nur ein Paar Frauen, Studentinnen der dffb und HFF, dann wurden wir immer mehr. Zu viele um wirklich gute Gespräche zu führen. Dabei wollten wir nie ein Verein oder ein Verband werden, denn den gab es schon: Den Verband der Filmarbeiterinnen, der sich für eine 50% Quote der Mittelvergabe für Filme von Frauen einsetzte und beharrlich auf der Berlinale die Frage stellte: "Haben Sie heute schon einen Film von einer Frau gesehen?" Der Verband organisierte zum zwanzigstes Jubiläum eine Tagung zum Thema: die FRAU die MACHT der FILM. Dort wurde klar, dass während Männer in Machtpositionen oft Seilschaften bilden, Frauen eher überkritisch auf Arbeiten von anderen Frauen reagieren. Um dies zu ändern haben Golden Feminists ein Manifest in Anlehnung an „erstes Manifest großer und angesehener Künstlerinnen formuliert, der aus einem einzigen Punkt besteht: "Frauen, lobt Euch gegenseitig, vor allem öffentlich!". Das würde zwar die Sichtbarkeit von Frauen erhöhen, würde aber keine Quote ersetzen, die wir dringend brauchen. Der Verband hat sich aufgelöst und die Golden Feminists treffen sich nicht mehr. Hoffen wir auf la Barbe (die, die sexistische Filmauswahl in Cannes denunzierte) und auf Pussy Riot („Jungfrau Maria: werd’ Feministin!“).
Mir wurde natürlich nie ein Tatort angeboten. Ohne Karriere kein Tatort. Ohne Tatort keine Karriere. In einem Land, in dem das Fernsehen Kino macht, sich in alles einmischt und bestimmt, gipfelt (und verdurstet) die Filmkunst im Tatort. Ich bin aber nicht Tatortlos. Les Reines Prochaines, Musikerinnen mit denen ich immer gearbeitet hatte, haben mich gefragt, ob ich ein Drehbuch für sie schreiben könnte. So schrieb ich einen Tatort für die Bühne, reduzierte das Genre auf seine Mechanik, benutzte ihn als Gerüst für die opulente Lyrik und Musik der Performance von Les Reines Prochaines. So entstand DINGS - ein kriminal-philosophisches-cinemathographisches Singspiel, das in Deutschland, Schweiz und Österreich das Publikum erwärmte. Keine kngeniale Trash-Mischung, in der ich für die Filmfassung, Kamera und Schnitt übernehme, die Musikerinnen den Ton.
Keine Ahnung, ob ich aus dem Bermudadreieck, in dem ich mit vielen anderen Regisseurinnen verschwunden bin, jemals wieder herauskomme. Der Kurzfilm Sie nannten ihn Dings, in der zum ersten Mal die Figur "Dings" mitspielte, wurde aus irgendeinem Grund von sämtlichen Festivals abgelehnt, bis auf eines: Das Festival des gescheiterten Films. Mache also im Off-Bereich weiter. Während der Mainstream sich immer mehr angleicht und zu einer Wüste der Langeweile anwächst, hat es das Nebenkraut schwer. Auf den Nebenwegen ist es zwar schön, aber das Geld fließt selten dahin und das Publikum nimmt gern die Hauptstraße.
IN THE MILK - Die Abenteuer einer Kuh von schlichtem Gemüt
Film für Kopfkino von Nathalie Percillier und Lily Besilly
Jeanne betreibt einen kleinen Crepe-Stand in einer grauen Stadt am Meer, und ihre Freundin Ute kümmert sich um ihre Kuh Sylke, die die Milch für Crepes und auch den Frühstückskaffee liefert. Sylke ist Waise, seit ihre Mutter der Maul- und Klauenseuche zum Opfer gefallen ist. Für Ute ist die Welt in Ordnung, solange sie nur mit Jeanne und Sylke zusammen sein kann, aber Jeanne hat einen Drang zum Höheren.
Ute hat an einem Preisausschreiben der Zeitschrift "Leben mit Kühen" teilgenommen und dort prompt eine Reise in die Schweiz gewonnen. Es ist nicht ganz leicht, eine Fluggesellschaft zu finden, die auch Kühe transportiert, aber schließlich werden sie bei Air India fündig.
Während des Flugs lernen sie die schöne Nobelpreisträgerin Lucy Fair kennen, die ein Verfahren entwickelt hat, Kühe genetisch so zu verändern, dass sie sich von Plastikmüll ernähren können und trotzdem Milch geben - die Lösung für zwei große Probleme der modernen Welt, Müllberge und Unterernährung. Aber Lucy hat ein Problem: ihre Genkühe werden immer aggressiver, die Gesundheitsbehörden werden schon auf sie aufmerksam. Da kommt ihr Ute gerade recht, die mit Hilfe eines von der Großmutter geerbten Medaillons jede noch so wilde Kuh besänftigen kann.
Ute findet Lucy Fair ziemlich blöd und hält auch nichts von ihren Genversuchen. Lucy macht sich deshalb an Jeanne heran, um sich mit deren Unterstützung Utes Hilfe zu verschaffen. Damit stellt sie die Beziehung der beiden Freundinnen auf eine harte Probe.
Umschlag von Judith Adam
Bloody well Done - verdammt gut gemacht!
Nathalie Percillier
Als ich klein war, träumte ich davon, mit meinen Freund:innen ein kleines Theater zu haben. Ein Wandertheater. Wir würden von Stadt zu Stadt ziehen und in einem Wohnwagen unsere Stücke aufführen. Da es inzwischen in vielen Ländern der Welt schwul-lesbische Filmfestivals gibt, ist mein Traum ein bisschen Realität geworden. Meine Filme wandern von Stadt zu Stadt, nur dass ich meistens nicht auf der Bühne stehe, sondern mit beschleunigtem Puls im Publikum sitze.
In der Filmschule waren manche neidisch auf mich, weil ich ein breiteres Publikum bekam als viele andere Kurzfilmer:innen. Schwul-lesbische Filmfestivals räumen dem Kurzfilm einen Ehrenplatz ein. Dank Panorama lief "Heldinnen der Liebe" auf der Berlinale, bekam einen Teddy und fing eine Festivaltour an, die bis heute anhält. Nach dem zweiten Teddy für "Hartes Brot" fiel einen Preisregen auf mich, auf queeren wie nicht-queeren Festivals.
Wunderbar dachte ich. Dann kann ich doch großes Kino machen! Mit Lily Besilly zusammen, mit der ich "Heldinnen der Liebe" gemacht hatte, schrieben wir das Drehbuch zu einer sehr schönen Bollywood Komödie "In The Milk" in der es um Kühe, Genetik und Liebe geht. Wir bekamen eine Drehbuchförderung dafür und auch noch einen Preis und dachten es geht los. Andere Drehbücher folgten. Sie wurden mit Interesse gelesen, aber bis heute wartet die Welt auf meinen ersten langen Film.
"Schön ausgefallen, zu ausgefallen" hörte ich mal. Ja. Ich mag aber schön ausgefallene Filme und ich wüsste nicht, warum ich Filme drehen sollte, die ich nicht mag. Außerdem erzähle ich meine Geschichten nach allen Regeln der Kunst. Das Ausgefallene daran wird sein, dass Lesben die Hauptrolle spielen und dass die Filme ein wenig wie Slapstickmärchen daher kommen. Neuland! Gern wird an dieser Stelle eine ominöse Oma aus Marzahn eingeführt, die mit solchen neuen Gattungen nichts anzufangen wüsste. Angeblich möchte diese Dame immer nur das sehen, was sie schon einmal gesehen hat.
Prompt kommt der nächste Einwand. "Wenn schon schräge Geschichten, warum machst du dir das Leben noch schwerer, in dem du Lesben als Protagonistinnen nimmst?" Ja, eine ähnliche Frage stellte mir meine Mutter bei meinem Coming-out. Das Leben sei doch schwer genug, warum auch noch das? Und auch damals habe ich keine Analyse angefangen, um den erschwerenden Zustand zu beenden. Ich habe nicht vor die äußere Homophobie in eine innere zu verwandeln, nur weil das Erfolg bringen soll. Wir Lesben kämpfen seit Jahrhunderten um Sichtbarkeit und wollen auf die Kinoleinwand.
"Ja. Aber wenn schon Lesben, warum dann nicht lesbenspezifische Themen?" Hallo! Ich möchte den Heterofilm sehen, in dem Heteros sich mit heterospezifischen Problemen auseinandersetzen. Dabei wäre es eine gute Idee. Was heißt lesbenspezifisch? Coming-Out? Babywunsch? Ja, denkt ihr wir Lesben hätten den ganzen Tag nichts Besseres zu tun, als uns zu outen und Spermabecher durch die Gegend zu transportieren? Ich mache keine Lesbenfilme, sondern Filme in denen Lesben vorkommen. Das mag ernüchternd sein, aber wir sind ziemlich normale Leute und nicht alle die tropische Vögel, die in manch eine Heterophantasie schillern, oder in den Bildschirmen, wenn es um die Berichterstattung von CSD Demos geht.
"Wenn schon Lesben, kannst du denn nicht zumindest die Antagonistin zum Mann machen?" so das Begehren einer meiner früheren Produzentinnen. Eigentlich verbietet es sich, auf solche Fragen einzugehen. Während Männer keine Probleme haben ihre Filme komplett mit Männern zu besetzen, soll es ungeheuerlich schwer zu verstehen sein, wenn zu viele Frauen vorkommen. Männer sind universal, Frauen, frauenspezifisch mit dem Beigeschmack Problemfilm. Gestern machte ich den Fernseher an, und da liefen nur Filme voller Männer. Natürlich kamen Frauen auch vor, denn diese Männer brauchen Frauen an ihrer Seite, sonst denkt jemand womöglich sie seien schwul und da wird in Marzahn sofort gezappt. Entschuldige, aber so lange der universale Mensch weiß und männlich ist, müssen Quoten her.
"Warum drehst du nicht eine Film auf Mini DV für ganz ohne Geld?" Ah, ja. Und am liebsten so, wie man es von Lesbenfilmen erwartet: schlechtes Licht, schlechter Ton, wackelige Bilder. Es gibt großartige Filme, die ohne Geld gedreht wurden und es ist möglich Leute zu finden, die aus Liebe zu einem Projekt, bereit sind ohne Geld oder für ganz wenig zu arbeiten. Aber das sollte doch eine Ausnahme bleiben. Wenn wir so etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen hätten, wäre so etwas besser zu vertreten, denn niemand müsste um seine Existenz bangen. Aber die Tendenz von uns Filmleuten zu fordern, aus Leidenschaft bitte schön umsonst zu arbeiten, finde ich tendenziell unverschämt.
"Alles schön und gut, aber brauchen wir überhaupt noch Lesbenfilme? Homosexualität ist doch überall akzeptiert, das Thema haut niemanden mehr vom Hocker." Das ist die fieseste Frage. Brauchen wir denn Filme von ballernden Männern und hirnlose Frauen? Filme von Söhnen, die ihre Väter suchen... Aber bitte, wenn die Oma aus Marzahn, sich an solchen Filme delektiert, soll sie doch. Aber ich, die wahrscheinlich öfters ins Kino geht als sie, möchte Filme mit ganz normalen Lesben sehen. Und ich weiß von vielen, wie wichtig der erste Lesbenfilm war, als sie sich noch als allein unter Heteros wähnten. In vielen Ländern ist Homosexualität noch strafbar. Schwule und Lesben werden heute noch auf offener Strasse angegriffen. Außerdem, wäre es vielleicht für manche Leute ganz gut, wenn sie daran erinnert werden, dass die Welt nicht nur aus weißen Heteros besteht. Und bitte, wenn eine ältere Dame aus Marzahn, die als das kulturellen Maßstab schlechthin zu gelten scheint noch nicht einmal in der Lage sein soll, sich in eine Lesbe hineinzuversetzen, während sie es mit Leichtigkeit in einem Schweinchen namens Babe, einem grünen Oger oder einem langhalsigen Außerirdische, der nach Hause möchte, kann... dann brauchen wir sehr viele Lesbenfilme!
Wer queere Filme machen will, sollte sich auf derartigen Fragen gefasst machen. Immer noch und immer wieder. Kein Grund zur Depression. Die Vielzahl queeren Filmfestivals ermöglicht uns auch low-budget Filme, schräge Filme, Kurzfilme zu zeigen. Manche Festivals vergeben Stipendien, organisieren Filmworkshops. Jedenfalls eröffnet sich schnell die Möglichkeit einen Kurzfilm zu machen. Preise werden verliehen, auch Geldpreise. Die queere Community trägt ihre Filmer:innen. Am berühmtesten dürfte der Teddy sein, der auf einem A Festival verliehen wird und immer mehr an Bedeutung gewinnt. Damit haben wir eine Visitenkarte in der Hand, die wir im weiteren Filmleben einsetzen können. Außerdem bieten diese Festivals eine Chance der Vernetzung. Produzent:innen und Filmemacher:innen können sich kennen lernen und neue Strategien austüfteln.
Wir haben Verleiher wie Edition Salzgeber, die auch "kleine" queere Filme in den Kinos bringen. Unsere Filme werden liebevoll von Vereinen wie Bildwechsel in Hamburg oder Immaginaria in Bologna archiviert. Sie laufen ewig, während "kleine" hetero Filme oft nur zwei Wochen im Kino laufen, wenn überhaupt. Unsere Filme werden unsere immer wieder gezeigt und weiter gereicht. Jahrelang und international. Das ahnen viele Produzenten nicht. Wieland Speck, Leiter des panoramas stellte 2006 die Queer Academy vor, eine queere Film Datenbank, die endlich sichtbar machen wird, wo und wie lange queere Filme laufen. Damit lässt sich argumentieren und vielleicht öffnen sich für queere Filme neue Wege der Geldbeschaffung.
Das Problem ist nämlich nicht die Oma aus Marzahn. Sie wird vorgeschoben. Manche Redakteurinnen wären durchaus bereit einen Lesbenfilm zu unterstützen (ohne Senderbeteiligung ist es in Deutschland so gut wie unmöglich einen Kinofilm zu finanzieren), aber die endgültige Entscheidung liegt selten bei ihr, sondern beim Chef, weiß und männlich, der Frauenfilme, queere Filme eventuell für nebensächlich hält. Deshalb brauchen wir Argumente und geschickte Strategien, um diesen Mann zu überzeugen oder zu umgehen.
Das Schlagkräftigste Argument ist sicher Erfolg. "Milk" von Gus Van Sant mit seinen zwei Oscars sieht ganz gut aus. Einen Star, wie Sean Penn dabei zu haben, ist sicher eine sehr Erfolgversprechende Strategie. Leicht ist das nicht, denn viele Schauspieler:innen fürchten sich vor der Stigmatisierung, die durch das Annehmen queerer Rollen droht. Catherine Deneuve, die seit ihrem Auftritt in "The Hunger" zu einer Ikone des Lesbenfilms zählen dürfte, sagte: "Wenn ich ankündige, dass ich eine Liebesszene mit einer anderen Frauen spielen werde, in der geküsst und gestreichelt wird, geht es plötzlich nicht mehr um den Film, nicht mehr um die Rolle, sondern um mich, die eine andere Frau berührt..." Umso toller ist das, wenn ein Schauspielrinnen wie Charlize Theron und Christina Ricci bei einem Film wie "Monster" mitmachen. Interessant finde ich an diesem Film, dass es Patty Jenkins erster langer Film war. Als sie den Film plante, dachte sie erst nicht an einem großen Budget. Ihre Casting Agentur konnte Charlize Theron für den Film gewinnen und aus dem B Film wurde plötzlich ein A Film. Patty Jenkins war selbst überrascht von dem Ansturm, der dann kam. Das zeigt, dass man groß denken kann.
Bestimmt hatte Hilary Swank nicht mit einem Oscar gerechnet, als sie die Rolle der Brandon Tina annahm in "Boys don't Cry". Dass ein Film, in dem es um ein Thema wie Frau-zu-Mann Transexualität solch einen Erfolg wurde, liegt sicher an dem Genie der Produzentin Christine Vachon, die auch Filme von Rose Troche, Todd Haynes, aber auch Cindy Sherman produzierte. Als queer:e Filmer:in ist es geschickt, den internationalen Filmmarkt zu studieren und seinen Film bei einer guten Produzent:in unterzubringen. October Film beispielsweise, Produzent des wunderbaren "High Art" von Lisa Cholodenko und Herausgeber von Patricia Rozemas "When the Night is Falling" oder Susan Streitfelds "Female Perversion" mit Tilda Swinton. October Film ist inzwischen von Focus Feature aufgekauft worden, der queere Erfolge wie "Brokeback Mountain" oder "Milk" vorweisen kann. In Deutschland brachte Ulrike Zimmermann, "Fremde Haut" von Angelina Maccarone ohne die Beteiligung eines Fernsehsenders ins Kino, was auch an ein Wunder grenzt.
Eine andere Strategie fährt Marta Balletbo-Coll, die sehr lustige Trash Filme gemacht hat wie "Honey, I Sent the Men to the Moon" oder "Costa Brava". Sie macht alles selber: produziert, führt Regie und spielt die Hauptrolle. Alle Darstellerinnen sprechen English mit einem kräftigen spanischen Akzent, so spart sie sich die Untertitel für die internationale Verwertung. In "Honey, I Sent the Men to the Moon" geht es um die Mitarbeiterin einer Fabrik für Damenbinden, die die Gattung Mann ausmerzen will, um den Umsatz ihres Unternehmens zu steigern. Mit diesem Thema hätte Marta Balletbo-Coll in der normalen Filmherstellungslandschaft null Aussicht auf Erfolg. So ein "wir machen alles selber" abendfüllender Film war auch "Rote Ohren fetzen durch Asche". Das geniales Machtwerk von Ursula Pürrer, Hans Scheirl und Dietmar Schipek war komplett auf Super Acht gedreht. Kein Trash, ein Science Fiction Gedicht. Obwohl kaum Geld da war, sieht der Film super aus. "Schwierige Filme" müssen oft den Weg die Strategie des No-Budgets wählen, um das Projektorlicht zu erblicken. Die Autorinnen stecken ihr ganzes Geld in einen Film und es kommt kaum etwas zurück. So etwas kann keine:r ewig machen. Yvonne Rainer bekam 1996 den Teddy für "MURDER und Murder. In dem Film geht es unter anderem um das als extrem schwierig empfundene Thema Lesben und Brustkrebs. Zum Thema Geld und Perspektive sagte Yvonne Rainer: "Ich habe drei einmalige Stipendien bekommen, zwei davon habe ich in MURDER and Murder reingesteckt (...), dann hatte ich zwei Guggenheims [Stipendien]. So das war's. Die krieg ich nie wieder. Filme dieser Größenordnung zu machen, das ist nicht sehr vielversprechend für die Zukunft. Ich werde anfangen müssen wieder kleiner zu denken (...) und kürzere Videoar-beiten machen."
Nicht jede:r hat Lust, Film als Ware zu produzieren, sich dem Unterhaltungszwang, der Dreiaktstruktur, dem Diktat der 90 Minuten zu unterjochen: Derek Jarman, Ulrike Ottinger, John Greyson, Su Friedrich, Mathias Müller, Chantal Akerman, Barbara Hammer, Monika Treut, Maria Beatty zeigen, dass es anders geht. Ja ich weiß, die Oma aus Marzahn steigt hier ganz aus, weil ich alles durcheinander bringe: großes Kino, Videokunst, Experimentalfilm, Pornofilm, Filmessay, Dokumentarfilm... Ich weiß nur, dass es unzählige Wege gibt, Filme zu machen, queere Filme und dass man selber daran zerbrechen kann, die Regeln der Filmindustrie um jeden Preis erfüllen zu wollen.
Bildet Banden! Vernetzung ist eine weitere kluge Strategie. In Berlin haben wir Studentinnen der Filmakademie uns gefragt, wie das sein kann, dass wir Frauen während des Studiums mehr Preise bekommen als unseren männlichen Kollegen, aber nach der Akademie die Männer erfolgreicher sind. Um dieses Phänomen nachzugehen gründete Katrin Feistl die "Golden Feminists", eine Gruppe von Filmfrauen aller Sparten, die sich einmal im Monat trafen, um sich gegenseitig ihre Arbeiten zu zeigen und sich über Widrigkeiten und Strategien auszutauschen. Golden Feminists traf sich mit dem Verband der Filmarbeiterinnen, eine frühere Zusammenkunft dieser Art, die sich für 50% aller Mittel für Filme von Frauen einsetzt und beharrlich auf der Berlinale die Frage stellt: "Haben Sie heute schon einen Film von einer Frau gesehen?" Der Verband organisierte zum zwanzigstes Jubiläum eine Tagung zum Thema: die FRAU die MACHT der FILM. Dort wurde klar, dass während Männer in Machtpositionen oft Seilschaften bilden, Frauen eher überkritisch auf Arbeiten von anderen Frauen reagieren. Um dies zu ändern haben Golden Feminists ein Manifest in Anlehnung an das "1. Manifest grosser und angesehener Künstlerinnen" formuliert, der aus einem einzigen Punkt besteht: Frauen, lobt Euch gegenseitig!
Das kleinste Netzwerk ist das Paar. Lily Besilly und ich, wollten mit "heldin-nenfilm" die Geschichte umschreiben und Heldinnen überall einsetzen, wo sie fehlen. Es hätte in der Steinzeit angefangen und irgendwann in der Zukunft aufgehört, mit einem Exkurs in die Unendlichkeit. Mit "Heldinnen der Liebe" hatten wir schon einen Weltkrieg abgehakt und wollten weitere Kurzfilme machen, die wir zu einem Abendfüllenden Film zusammengesetzt hätten. Bestimmt wären Les Reines Prochaines dabei gewesen, mit denen wir immer noch ein Musical drehen wollen. In "Heldinnen im All", das nur als Drehbuch existiert, widmeten wir uns der Raumfahrt und dem Sturz der Ariane, der mit einer Landung auf einer Kartoffel endete. Das hätten wir noch schön mit Bluebox machen können. Aber in "Heldinnen Go West", ziehen die Heldinnen mit ihrer Kuh durch das Far West. Das wollten wir auf Cinemascope drehen. Das Budget stieg. Ich erwähne hier nicht die Kostümfilme, die wir noch vorhatten, denn inzwischen waren wir mit "Hartes Brot" in der deutschen Exportrolle, in Cannes auf dem roten Teppich herum gelaufen und wollten nur noch großes Kino. Der Aufwand für Kurzfilme ist sehr hoch und vor zwölf Jahren, als wir diese Idee hatten, gab es noch nicht so viel Episodenfilme, oder Kurzfilmrollen, die in den Kinos laufen. Heute gibt auch all die Liebes-perlen, Lesbian Funshorts, Gay Shorts, Teddy Twenty oder die Ursula Kurzfilmrolle... DVDs mit den populärsten Kurzfilmen, wobei hier wieder einen Unterhaltungszwang entsteht. Experimentelle Filme, wie von Michael Brynntrup oder Barbara Hammer findet man in solchen Compilationen selten, aber die könnten in Projekte wie "Fucking Different" von Kristian Petersen zu finden sein.
Ich wurde 2004 vom Hamburger schwul-lesbischen Filmfest eingeladen, einen Filmworkshop für den Nachwuchs zu geben. Die Teilnehmer:innen waren keine Filmstudenten und hatten noch nie einen Film gemacht. Meine Botschaft war, sich weder um die Widrigkeiten noch um die Perspektiven des queeren Filmemachens zu kümmern, sondern ein Team zu bilden und loszulegen. Bei dem Workshop beherzigte ich weitere Punkten des ersten Manifests grosser und angesehener Künstlerinnen. Punkt 2: "Wenn du etwas Gutes willst, musst etwas Wahres geben". 8: "Geld spielt eine Rolle. Holt's euch und lasst es fliessen." 1o: "Verratet einander euere Strategien und werdet Idole mit der Pistole, bedroht den Argwohn und die Missgunst." 7: Klaut Ideen und verschenkt die besten (www.xcult.ch/erstes.manifest/index.html, hier mein Dank an Reines Prochaines, Helga Broll und Bildwechsel). Sehr schön fand ich, das zwei Teilnehmer:innen nach dem Workshop einen Kurzfilm machten: Gerda Cencipere und Florian Frei.
Macht queere Filme! So wie ihr sie machen wollt! Einwände kommen immer.
Ich jedenfalls mache weiter, wie auch immer.